Umfrage zu Ökosystemen - die Technologieperspektive reicht nicht aus

Zu Beginn des Jahres hat Accenture eine Befragung zum Thema Ökosysteme durchgeführt (vgl. Lyman et. al. 2018). Im Mittelpunkt der Auswertung stehen 1.252 Führungskräften von Unternehmen aus verschiedenen Branchen. Konkret ging es um die Bedeutung von Ökosystemen und deren Bedeutung für das zukünftige Unternehmenswachstum. Diese Befragung ermöglicht aus unserer Sicht einige interessante ergänzende Schlussfolgerungen, die hier kurz dargestellt werden sollen.

Ökosysteme als „cornerstone of future growth“

Die Studie von Accenture zeigt, dass rund 60 Prozent der Führungskräfte im Aufbau von Ökosystemen die Möglichkeit sehen, die eigene Branche disruptiv anzugreifen. Gleichzeitig schreiben rund 76 Prozent der Führungskräfte Ökosystemen das Potential zu, die Unternehmenslandschaft maßgeblich verändern zu können. Hier betonen dann rund 63 Prozent der Führungskräfte, dass der technologische Plattform bei Aufbau eines Ökosystem eine besonderer Bedeutung zukommt. Trotz dieser Bedeutung setzen derzeit aber nur rund 46 Prozent der Führungskräfte aktiv die eigenen Erwartungen um und beschäftigen sich mit dem Aufbau entsprechender Ökosysteme. Dies scheint insbesondere darin begründet zu sein, dass die Führungskräfte ein Ausbalancieren des aktuellen Geschäftsmodells und des neuen Plattformgeschäftsmodells als extrem schwierig ansehen (rund 37 Prozent) und es an den notwendigen Kompetenzen zur Umsetzung weitgehend fehlt (rund 60 Prozent).

Aus unserer Sicht ist dieses Ergebnis nicht überraschend. Die technologische Perspektive wird richtigerweise als besonders wichtig und auch als problematisch angesehen. Gerade die Aussage zum Ausbalancieren von aktuellem und neuem Geschäftsmodell verweist jedoch aus unserer Sicht auf das wesentliche(re) Problem für etablierte Unternehmen, die ein Ökosystem aufbauen wollen.

Der Aufbau eines funktionieren Ökosystems benötigt ein koordinierendes Keystone-Unternehmen (vgl. Eckert 2018) mit einem spezifischen Geschäftsmodellkern (Business Model Prototype). Der Unterschied zwischen dem eigenen und bisherigen Geschäftsmodellkern und dem notwendigen Geschäftsmodellkern eines Keystone-Unternehmens bestimmt aber dann die notwendige Vorgehensweise beim Aufbau eines Ökosystems (vgl. Eckert 2018: 211ff., zum Geschäftsmodellkern/Business Model Prototype auch Eckert 2014, 2017).

Geschäftsmodellkern/Business Model Prototype am Beispiel eines klassischen Plattformunternehmens (Ebay)

Ebay kann als klassisches Keystone-Unternehmen angesehen werden, welches von Anfang an als technologischer Plattformbetreiber und Ökosystemkoordinator gegründet wurde. Aus diesem Grund besitzt eBay auch eine strategische Kunden-/Marktkompetenz als Kernelement des eigenen Geschäftsmodellkerns (Business Model Prototype). Unternehmen mit einer Kunden-/Marktkompetenz denken von klar definierten und abgegrenzten Kunden- bzw. Marktsegmenten aus. Ausgehend von den definierten Kunden- bzw. Marktsegmenten werden den Zielkunden Produkte – hier per Auktionsverfahren – angeboten. Mit dieser strategischen Kompetenz werden Unternehmen auch kontinuierlich nach neuen Möglichkeiten suchen, den identifizierten Kundengruppen immer wieder neue Produkte zur Verfügung stellen zu können. Um dies zu ermöglichen, ist eine permanente Market Research bzw. eine permanente daten- und technologiebasierte User Research von entscheidender Bedeutung. Zudem muss durch geeignete Maßnahmen auch eine hohe Kundenloyalität aufgebaut werden.

Genau das muss sich dann auch in der Geschäftslogik eines kunden- bzw. marktorientierten Unternehmens widerspiegeln. Um diese Geschäftslogik umzusetzen, nutzt eBay die bei der Gründung neuen technologischen Möglichkeiten des Internets und baute auf dieser technologischen Basis die entsprechende (Auktions-)Plattform bzw. eine klassische zweiseitige Marktplattform auf. Das Nutzenversprechen von eBay als Plattformbetreiber besteht darin, einen „Match“ zwischen Anbietern und Nachfragern herzustellen und die Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrage problemfrei zu gestalten. Um weiter erfolgreich zu bleiben, muss es auch eBay gelingen den „Traffic“ kontinuierlich zu erhöhen. Dies kann durch Erhöhung der Transaktionswerte pro Transaktion oder auch durch eine Zunahme der Transaktionszahlen (durch z.B. erhöhte Mitgliederzahlen) erfolgen. Zusätzlich müssen auch Maßnahmen zur Steigerung der Kundenloyalität ergriffen werden. Nur durch eine erhöhte Kundenloyalität auf Anbieter- und Nachfrager-Seite kann der Erfolg der Plattform abgesichert werden. Hierzu dienen dann u.a. auch Zusatz-Nutzen, den eBay anbietet, z.B. durch PayPal-Bezahlservice, Bewertungssysteme, etc. (vgl. Eckert 2018: 212).

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der Erfolg von Ebay - jenseits des Technologiefokus - auf einem spezifischen Geschäftsmodellkern mit einer strategischen Kunden-/Marktkompetenz, entsprechenden strategischen Prozessen und einem unterstützenden Markenimage basiert. Dieses Geschäftsmodell wird durch ein technologiebasierte Plattform bzw. durch ein technologiebasiertes Plattformgeschäftsmodell als strategische Ressource unterstützt.

Den befragten Führungskräften ist somit zuzustimmen, dass das technologische Plattformgeschäftsmodell von grundlegender Bedeutung für den Aufbau eines Ökosystems ist. Wichtiger in unserem Verständnis ist aber der Aufbau eines kunden- und marktkompetenzorientierten Geschäftsmodellkerns (Business Model Prototype) und die kohärente Entwicklung der weiteren Elemente des Geschäftsmodellkerns und des weiteren Geschäftsmodells. In unseren Überlegungen sprechen wir hier dann von einem integrierten Geschäftsmodell aus einem kompetenzorientiertem Geschäftsmodell (Kunden- und Marktkompetenz) und einem technologieorientiertem Plattformgeschäftsmodell (im Sinne einer unterstützenden strategischen Ressource).

Aufbau eines Ökosystems durch ein klassisches Unternehmen

Nicht jedes Unternehmen hat den Vorteil als Keystone-Unternehmen mit einer strategischen Kunden-/Marktkompetenz und technologieorientiertem Plattformformgeschäftsmodell als strategische Ressource gegründet zu werden. Deshalb ist die Situation dann auch aus unserer Sicht komplexer.

Ein Unternehmen hat im Allgemeinen eine bestimmende strategische Kompetenz (z.B. Technologiekompetenz, Produktkompetenz) mit entsprechenden strategischen Prozessen mit hohen Reifegraden. Der Aufbau eines Ökosystems erfordert dann aber nicht nur ein entsprechendes technologisches Plattformgeschäftsmodell (als strategische Ressource), sondern den Aufbau eines Keystone-Unternehmens mit einer Kunden-/Marktkompetenz als Gestalter und Koordinator des Ökosystems und als Betreiber der Technologieplattform. Dies kann nun auf zwei Wegen erfolgen:

  • Zum einen ist es möglich eine separate Unternehmenseinheit zu etablieren, die einen entsprechenden Geschäftsmodellkern mit einer strategischen Kunden-/Marktkompetenz ausbildet und ein technologisches Plattformgeschäftsmodell als strategische Ressource entwickelt. Dies hat aber den Nachteil, dass bisheriges Kerngeschäft und das neue ökosystem-basierte Geschäftsmodell getrennt nebeneinander existieren. Dann entsteht genau das Problem des Ausbalancierens der beiden Geschäftsmodelle, welches in den Antworten der befragten Führungskräften teilweise auch als problematisch angesehen wurde.

  • Alternativ, aber auch anspruchsvoller, ist die Entwicklung eines integrierten und multiplen Geschäftsmodells, welches z.B. in einem umgekehrten Weg bei Amazon in den letzten Jahren entstanden ist. Hier wird die bisherige strategische Kompetenz innerhalb der bestehenden Geschäftslogik durch eine ergänzende strategische Kompetenz ergänzt. Bei Amazon bedeutete dies z.B., dass die strategische Verkaufskompetenz (Verkauf von Produkten) durch eine strategische Kunden-/Marktkompetenz (Betreiber eines Ökosystems) kohärent ergänzt wurde (vgl. Eckert 2018: 214 ff.). Die beiden Geschäftsmodellkerne stehen aber hier nicht getrennt nebeneinander, sondern ergänzen sich im Rahmen der weiterentwickelten Amazon-Geschäftslogik (weiterentwickeltes "Amazon-Wheel", vgl. Eckert 2018: 215) wechselseitig. Als Verbindungselement dient die technologische Plattform bzw. das technologische Plattformgeschäftsmodell (vgl. Eckert 2018: 212 ff.).

Beide Vorgehensweisen ist gemeinsam, dass die Gestaltung der Technologieplattform nur ein Problem beim Aufbau eines Ökosystems darstellt. Von größerer Bedeutung ist die Frage, wie das Keystone-Unternehmen als Koordinator des Ökosystems und als Betreiber der Plattform gestaltet werden muss. Hier geht es dann um die neue bzw. veränderte Vision der Zukunft, um eine weiterentwickelte oder neue Mission (heute auch Purpose) und um eine integrierte Gestaltung der Schnittstelle zwischen altem und neuem Geschäftsmodell auf der Grundlage einer weiterentwickelten Geschäftslogik.

Schlussfolgerung

Die kurzen Überlegungen sollten verdeutlichen, dass die technologische Plattform als Grundlage für ein Ökosystem notwendig ist. Die Fokussierung auf die Technologieplattform ist jedoch nicht ausreichend, um als Keystone-Unternehmen erfolgreich ein Ökosystem gestalten und betreiben zu können. Hier ist eine strategische Kunden-/Marktkompetenz notwendig und damit häufig eine umfassende Transformation im (vorhandenen und etablierten) Unternehmen notwendig, die anders gestaltet werden muss als die bekannten Ansätze der digitalen Transformation dies beschreiben. Entscheidend ist hier dann auch aus einer Managementsicht die Frage, ob das bestehende Geschäftsmodell nach dem Beispiel von Amazon als integriertes und multiples Geschäftsmodell weiterentwickelt werden soll. Alternativ ist es natürlich auch weiter möglich, das Geschäftsmodell von etablierten Unternehmen und Keystone-Unternehmen getrennt zu entwickeln. Hier bleiben Synergien und Geschäftspotenziale aufgrund sich verstärkender Geschäftslogiken dann aber weitgehend ungenutzt.


Literatur zur Vertiefung

Lyman, M., Ref, R. und Wright, O. (2018), Cornerstone of Future Growth. Ecosystems, o.O.

Eckert, R. (2014), Business Model Prototyping. Geschäftsmodellentwicklung im Hyperwettbewerb. Strategische Überlegenheit als Ziel, Springer Gabler, Wiesbaden.

Eckert, R. (2017), Business Innovation Management. Geschäftsmodellinnovation und multidimensionale Innovationen im digitalen Hyperwettbewerb, Springer Gabler, Wiesbaden.

Eckert, R. (2018), Intelligente Echtzeitunternehmen im digitalen Hyperwettbewerb. Multiple Geschäftsmodelle – Hybride Organisationsmodelle – Vernetzte Ökosysteme, Springer Gabler, Wiesbaden.

erstmals veröffentlicht auf Linkedin am 20.09.2018