Warum Daimler auf die Schwarm-Organisation setzt

Der Wettbewerbsdruck durch IT-Konzerne wie Google oder Apple setzt traditionelle Unternehmen unter Zugzwang. Um schneller und flexibler agieren zu können, stellt Daimler deshalb teilweise auf die Schwarm-Organisation um.

Die Digitalisierung hat zu einer Hyper-Dynamisierung des Innovationswettbewerbs geführt. Wettbewerbsvorteile sind deshalb nur noch zeitlich begrenzt. Anstelle von Effizienz und Stabilität geht es um Dynamik und Agilität. Deshalb geraten die klassischen hierarchischen Organisationsmodelle und auch das klassische Innovationsmanagement zunehmend in die Kritik.

In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage von Daimler-Chef Zetsche (FAZ 7.9.2016) zu verstehen: „Wir stellen uns vor, dass wir (…) rund 20 Prozent der Mitarbeiter auf eine Schwarm-Organisation umstellen. (...) Dabei sollen Mitarbeiter, die nicht in strikte Hierarchien eingebunden sind, für bestimmte Themen verknüpft werden“. Damit soll Daimler, zumindest in Teilen, agieren wie ein Start-up-Unternehmen. Doch was bedeutet das für den digitalen Innovationswettbewerb?

Im bekannten klassischen Innovationswettbewerb geht es um eindimensionale Innovationen. Es werden Produkt- und Prozessinnovationen vorangetrieben, die teilweise auch Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle haben werden. Dagegen geht es im digitalen Hyperwettbewerb um multidimensionale Innovationen. Hier werden mindestens zwei Innovationstypen, zum Beispiel Produkt- und Geschäftsmodellinnovation (Lean Start-up) gleichzeitig und miteinander integriert vorangetrieben.

Dieser neue multidimensionale Innovationswettbewerb stellt jedoch auch neue organisatorische Anforderungen an die Unternehmen. So ist bekannt, dass zur Erarbeitung von multidimensionalen Innovationen interdisziplinäre Teams außerhalb der klassischen Entwicklungsbereiche und außerhalb der bekannten Hierarchien aufgebaut werden müssen (z.B. Business Innovation Factory). Das Problem hier ist jedoch in manchen Fällen, dass eine stabile Verbindung zur Kernorganisation fehlt. Eine Erneuerung der bestehenden Organisation ist dann schwierig.

Schwarm-Organisation: horizontal vernetzte Teams

Im dynamischen Wettbewerb müssen Unternehmen zunehmend in der Lage sein auf unvorhersehbare Veränderungen schnell agieren und reagieren zu können. Unternehmen müssen zunehmend agil sein. Erfolgsentscheidend ist hier dann, dass die Teams außerhalb der klassischen Hierarchien „horizontal vernetzt/horizontal interkompatibel“ sind. Diese Peer-to-Peer-Vernetzung zwischen (dezentralen) Teams ist wesentlich für eine Schwarm-Organisation.

Diese neue „Interkompatibilität“ setzt eine horizontale Vernetzung auf verschiedenen Ebenen  voraus. Zunächst ist eine infrastrukturelle Vernetzung über interne elektronische Marktplätze und Plattformen im Unternehmen, die den kontinuierlichen und spontanen Austausch in „real-time“ ermöglichen, notwendig. Auf der Informationsebene können die Mitglieder die relevanten Informationen dann permanent einsehen und Input geben. Auf der kognitiven Ebene begünstigt die Vernetzung neue Sichtweisen und damit das Entdecken von neuen und innovativen Produkt- und Geschäftsmodellideen. Auf der sozialen Ebene wird durch eine gemeinsame Sichtweise die spontane und schnelle Zusammenarbeit erleichtert.

Eigenverantwortung und Selbstorganisation in der Schwarm-Organisation

Im Mittelpunkt der Schwarm-Organisation steht zudem die „Selbstorganisation“. Hier werden den „Schwarm- Teams“ und zugehörigen Mitarbeitern eine höhere Handlungskompetenz und höhere Freiheitsgrade zugewiesen. Gleichzeitig ist jedoch auch eine höhere Flexibilität und Eigenmotivation notwendig. Die Mitarbeiter und Teams agieren als interne Entrepreneure im eigenen Unternehmen. Hierbei muss die Vernetzung im Inneren durch eine Vernetzung mit den aktuellen und zukünftigen Kunden in der Branche und in den branchenübergreifenden Wettbewerbsarenen ergänzt werden.

Selbstorganisation bedeutet aber nicht, dass die Fremdorganisation durch das Management gänzlich beseitigt wird. Die Fremdorganisation konzentriert sich vielmehr – das zeigt u.a. das Beispiel des Online-Unternehmens Alibaba – auf die Vision und auf die strategischen Fragestellungen. Die konkrete Erarbeitung neuer (multidimensionaler) Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen liegt in der Verantwortung der jeweiligen Innovationsteams und -mitarbeiter.

Alibaba agiert seit Jahren auf diese Weise. Hier wurde die Vision des Unternehmens auf der Basis von Zukunftsprognosen („Strategic Foresights“) durch das Führungsteam kontinuierlich weiterentwickelt.  Das hat dazu geführt, dass Alibaba die anfangs vorhandene E-Commerce-Plattform für kleine Export-Unternehmen durch die Nutzung multidimensionaler Innovationen und mithilfe kleiner Innovationsteams um u.a. eine Online-Shopping-Plattform, einen Online-B2C-Marktpatz und weitere Einheiten kontinuierlich erweitert hat.

Veränderungsbereitschaft als Teil der Unternehmenskultur

Somit kann die „Schwarm-Organisation“ durchaus eine mögliche strukturelle Lösung auf die Herausforderungen des multidimensionalen Innovationsmanagements sein. Hierbei entspricht die Einführung einer Schwarm-Organisation eher dem Vorgehen bei einer Unternehmenstransformation.

Es geht nicht um den „großen Sprung nach vorne“, sondern um die konsequente Realisierung von zielgerichteten Schritten. Dabei muss diese Umgestaltung von einer zentralen Vision ausgehen. Im Mittelpunkt der Umsetzung steht dann ein diszipliniertes Experimentieren. In der Unternehmenspraxis bietet es sich an, mit ausgewählten Pilotthemen zu beginnen, die von den internen Entrepreneuren vorangetrieben werden.

Die Mitarbeiter außerhalb der Schwarm-Organisation/-Teams müssen parallel auf die zunehmend entstehenden Veränderungen im Unternehmen sensibilisiert werden – Veränderungsbereitschaft muss zum festen Teil der Unternehmenskultur werden. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen kontinuierliche Veränderungen als Chance und nicht als Gefahr begreifen. Hier wird für etablierte Unternehmen eine wesentliche Herausforderung liegen, wenn sie die Agilität eines Start-ups anstreben wollen.

 

Erstmals gekürzt veröffentlicht auf Springer Professional unter dem oben genannten Titel „Warum Daimler auf die Schwarm-Organisation setzt“

https://www.springerprofessional.de/organisationsentwicklung/innovationsmanagement/warum-daimler-auf-die-schwarm-organisation-setzt/12000092?searchBackButton=true&abEvent=detailLink